Exponat-1

Eine Ansichtskarte mit stenotachygraphischer Handschrift ...


... gerichtet an eine österreichische Adresse im 21. Bezirk ...


... mit der Stampiglie des "Österreichischen Werbebüros für Stenotachygraphie" aus dem 20. Bezirk.



Exponat-2

Den dritten Rang in der Beliebtheit der unzähligen Stenographie-Systeme (hinter dem System Gabelsberger und dem System Stolze-Schrey) nahm die sogenannte Stenotachygraphie ein. Erfunden wurde diese von August Lehmann (1843-1893). Während die allermeisten Systeme letztlich nichts anderes als weiterentwickelte Epigonen der Gabelsberger Stenographie waren, zeichnete sich die Lehmann'sche Stenotachygraphie durch eine völlig neue Darstellung und Dynamik aus.



Gegen die beiden „großen Brüder“, die sich noch dazu 1924 zum System der Deutschen Einheitskurzschrift zusammenschlossen, blieb die kleine Schwester in ihrer Durchsetzungskraft stets chancenlos.


Die noch ungelaufene Ansichtskarte wird nächsten Monat durch ein bereits beschriebenes Exemplar ersetzt werden.





Exponat-3

Was ist schwieriger? Gabelsberger Stenographie selbst zu schreiben oder Gabelsberger Stenographie zu lesen? Geht es nach der Erfahrungen und Empfindungen der Adressatin dieser Postkarte, die sie an ihre Freundinnen Iki und Gisi schickte, dann ist der Fall klar. Wie sie im Text vermerkt, „graut“ es ihr regelrecht davor, Gabelsberger Stenographie zu „entziffern“.




Aber auch das aktive Schreiben hatte so seine Tücken und erforderte sehr viel Übung und Geschick. Die Adressatin nützt die Gelegenheit, ihren Freundinnen eine Karte in Kurzschrift zu schicken und bittet gleichzeitig um „strenge Kritik“ und „Verbesserung“. Das Ergebnis der Korrektur ist auf beiden Seiten dieser Postkarte zu sehen, wo der Blaustift unerbittlich die noch vorhandenen Unsicherheiten der Adressatin sichtbar macht.






Exponat-4

Ein Wechselbad der Gefühle dürften Adressantin und Adressat dieser Ansichtskarte knapp vor der Jahreswende 1919/20 durchgemacht haben. Die beiden haben offenbar beschlossen, sich per Kontaktanzeige näher kennen zu lernen, um sich „gegenseitig die Zeit zu vertreiben“. Mit der Gabelsberger Stenographie hatten die beiden recht rasch ein gemeinsames Interesse gefunden.




"Bezug nehmend auf Ihre Annonce würde es mich sehr freuen mit Ihnen in

Korrespondenz treten zu können. Antworten ersuche unter „Blondine“

postlagernd nach St. Leonhard am Forst zu senden.


Die Blondine!"


Das Motiv der Ansichtskarte wirkt mit der abstrakten Landschaft auf den ersten Blick sehr neutral, spiegelt aber trotzdem in allen Farben den offensichtlichen inneren Zustand der Adressantin wider.




Ein längerer Blick sollte auf die bemerkenswerte Briefmarke geworfen werden. Diese gibt jene Unsicherheit und Zerrissenheit wieder, die der in Österreich lebende Mensch Ende 1919 in sich verspürt haben muss. Etwas mehr als ein Jahr zuvor war er noch Untertan der k.u.k. Monarchie. Da der immense Briefmarken-Überschuss aus dieser Zeit noch abgebaut werden musste, wurde auf die alte Briefmarke diagonal die neue Bezeichnung „Deutschösterreich“ gestempelt. Aber auch die Republik Deutschösterreich existierte zu jenem Zeitpunkt nicht mehr, als die Karte geschrieben wurde. Zwei Monate zuvor wurde Deutschösterreich endgültig auf „Republik Österreich“ unbenannt. Es vergingen noch mehr als zwei Jahre, als 1922 die ersten Marken herauskamen, auf denen die politisch korrekte Namensbezeichnung „Österreich“ zu finden war.




Exponat-5



Der in Wien tätige Kartenmaler und Photograph Joseph Kränzle gestaltete diese Ansichtskarte, mit dem Titel: "Belauscht", Mitte der 1920-er Jahre. Will die Absenderin mit dem Motiv dezent auf den leichten Verfolgungswahn des Adressaten hinweisen? Wie ist die Frage  „... wollen Sie mir nicht mehr schreiben?“ zu verstehen? Meint sie: „... wollen Sie mir nicht MEHR schreiben?“ oder gar „... wollen Sie mir nicht mehr SCHREIBEN?“




Sehr geehrter Herr Christian! / Ihre Karte habe ich gestern erhalten und / teile Ihnen heute die Antwort mit. Das heißt, soviel man hier / [...] Antwort darauf geben kann. Denn Neues haben Sie mir ja nicht mit-/geteilt. Passiert wirklich so wenig oder wollen Sie mir nicht mehr schreiben? Ihre Meinung, dass viel durch die Postbeamten / verschwindet, teile ich wirklich nicht. Das ist beinahe ausgeschlossen. / Herzliche Grüße Ihre König.

Auch die Position der Briefmarke gibt Rätsel auf: Hat die Absenderin lediglich in der Eile die Marke etwas nach rechts geneigt auf die Ansichtskarte geklebt oder möchte sie dem Adressaten mittels österreichischer Briefmarkensprache (Position 11) fragen: „Hast du an mich gedacht?“







Exponat-6



Nach den äußerst bedenklichen und rustikalen Osterbräuchen im April 2014 (siehe Archiv)kehrt wieder Ruhe und Mai-Stimmung unter den Liebenden ein. Nicht nur, dass der Absender sich an das konkrete Datum der ersten Begegnung mit seiner Angebeteten erinnert (wie aus dem sacht manipulierten Gedicht hervorgeht), sondern auch der Beginn seines Kartentextes lässt die besondere Aufmerksamkeit für sein Liebchen spüren. – Wie es möglich war, weit vor der Zeit des Beamens gerade noch in Krakau, anderntags bereits wieder in Komotau (heute: Chamutov in Tschechien) zu sein, erklärt sich daraus, dass es sich vermutlich um das tschechische Krakau (heute: Krakov) handeln dürfte, das nur etwa ein Zehntel der Wegstrecke von jener nach dem polnischen Krakau ausmacht.





"Komotau, 21./3.99


Mein liebes, gutes, schönes, fesches, reizendes, entzückendes, [...] innigstes, / ewig einzig aufrichtigstes geliebtes und angebetetes Annchen!


Komme heute etwas später als sonst zum Schreiben, du wirst die Karte daher / wahrscheinlich morgen nicht mehr bekommen, höchstens erst Abends. [...] Adolf / Vormittag auf Besuch bei uns, blieb bis vorhin hier.. Dies der Grund, warum ich / nicht eher geschrieben. Entschuldige daher. – Heute habe ich nichts von dir erhalten, / weder Karte noch Brief. Warum hast du mir nicht geschrieben. Konnte nicht […], da du / wirklich so brav bist, nämlich was Schreiben anbelangt, was ist denn der Grund?! – / Bin gestern um ½ 5 Uhr nach Krakau gefahren, habe sofort von dort dir 2 Karten geschrieben."





Exponat-7



Der erste Eindruck ist eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand und ist verstörend: Die Szene spielt sich offensichtlich auf einem Bauernhof ab. Ein Mann schlägt eine Frau mit einer Weidenrute. Beide tragen traditionelle Tracht. Die Frau befindet sich zwar in einer abwehrenden Haltung – trotzdem vermittelt sie mit ihrem Lachen den Eindruck, Spaß daran zu haben. – In den östlichen Nachbarländern Österreichs, etwa in Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn und in Rumänien gilt diese Handlung als Ritual, das am Ostermontag zelebriert wird. Mittels Weidenrute wird die Frau entweder mit Wasser oder Parfüm besprengt. Mit diesem Ritual soll die Gesundheit und die Schönheit der Frau erhalten bleiben. Angeblich dürfen sich die Frauen auch „rächen“ und die Männer am Abend oder tags darauf mit einem Kübel Wasser übergießen. Ansichtskarten, die dieses Retourkutschen-Ritual festhalten, gibt es vermutlich nicht.


Ganz schlau wird man aus dem mit Tinte geschriebenen unten stehenden Text aus dem Jahr 1935 nicht ganz. Sollte dieser ironisch gemeint sein, wäre zu überlegen ob die „Unzufriedenheit“ nicht etwa als „und Zufriedenheit“ gelesen werden muss, was in der Gabelsberger Stenographie nicht unterschieden wird, da die Vorsilbe „Un-“ und das Wort „und“ identisch geschrieben und nicht mit dem nachfolgenden Wort verbunden werden.




Liebe Fanni und lieber Lois! Eure Karte hat uns überrascht, als wir die / unsrige schreiben wollten. Eure Leiden werden hoffentlich bald geheilt sein, denn / jetzt schon mit Schmerzen anzufangen, das ist zu bald. Euer [...]stand ist also etwas / verzuckert worden mit einem neuen Titel, der wohl verdient war. Uns geht es immer / gleichmäßig fort ohne Besserung, oder Aussicht auf so ähnliches. Gesund sind wir ja freilich, Unzufriedenheit ist wohl bei uns zuhause, aber da lässt sich eben nichts machen, / man muss es nehmen, wie mans erlebt, und denken dass es andere noch schlechter haben. / Beste Ostergrüße und Wünsche von uns 3 Kurti, Anna, Sigmund.“





Exponat-8

„Man soll den Teufel nicht an die Wand malen!“


Rau und wild ging es zu in den Niederungen des Rathauses. Welche besondere Art der Vergangenheitsbewältigung die beiden Freunde des Adressaten, „Hochwürden Herrn Univ.-Prof. Dr. Virgil Grimmich“ aus Kremsmünster (OÖ), mit ihrer Illustration betreiben wollten, geht aus dem Inhalt des handschriftlichen Textes nicht schlüssig hervor. Dass diese Karte, die aus dem Sommer 1900 stammt, vermutlich zu späterer Stunde – womöglich gar im „Wiener Rathaus-Keller“ – verfasst wurde, lässt die offensichtlich „illuminierte Handschrift vermuten:




„Mein lieber Alter, schau / dir dieses Bild an. Genau. / Es ist deine Zukunft! / Glaubst du, der Teufel wird sich / dies länger noch gefallen lassen, / dass du ihn vom / Katheder aus verhöhnst? / Gewiss nicht. Wenn er dich / holt, sind wir dabei. Doch auch bis / dahin möchten gerne wieder mit dir zusammenkommen deine allzeit getreuen ...“



Exponat-9



Die junge, hübsche Dame sitzt, denkt und schreibt. Sollte durch ein Missgeschick ihre Schreibfeder, die zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger eingebettet ist, in Mitleidenschaft gezogen werden, stünden ihr zwei Ersatzfedern auf ihrem breitkrempigen Hut für die Fortsetzung der Korrespondenz zur Verfügung.


Ob der Absender dieser Ansichtskarte weiblichen oder männlichen Geschlechts ist, geht aus dem Text und der Unterschrift nicht hervor. Klar ist auch nicht, in welchem Verhältnis der Adressant zur Adressatin steht.




Liebe Tilla! Sende dir die ersten Grüße (aus Hotel) / Bin gut angekommen, aber zweimal durch ein sehr starkes Gewitter / gefahren. Jetzt Morgens ist es etwas trüb. Hoffendlich [sic!] bleibt es nicht / immer so. Der Mutter will ich Nachmittag schreiben, bis ich etwas ausgerichtet habe. / Nochmals herzliche Grüße auch an deine werten Angehörigen von C. / Später schriftlich mehr.


Die besondere Position der Briefmarke soll die Adressatin dazu auffordern, sofort zu antworten. Ein derartiger Hinweis wäre genau hundert Jahre später redundant gewesen. Kurznachrichten werden heute permanent und laufend beantwortet. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.




Exponat-10

Das Wiener Rathaus auf der Ringstraße erfreute sich als Ansichtskartemotiv Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts großer Beliebtheit, wie diese vier Karten beweisen, die aus einem Zeitraum zwischen 1897 und 1902 stammen.


Der Bürgermeister in diesem Zeitraum war der (damals wie heute) heiß umfehdete, wild umstrittene Dr. Karl Lueger. Lange Zeit lautete die Adresse des Wiener Rathauses auf diesen populären und populistischen Politiker. Im Jahr 2013 wurde dieser Abschnitt der Wiener Ringstraße auf "Universitätsring" umbenannt.













Exponat-11



Das obere Bild von Ferdinand Georg Waldmüller (1793-1865) zeigt eine österreichische Bauernfamilie am 6. Dezember, dem Nikolotag. - Im November 1916 schreibt die Verfasserin dieser Ansichtskarte ihrer Freundin Paula.





Liebste Paula! Ich glaube, du hast mich schon ganz vergessen, nun sind es zirka zwei Monate! / dass wir uns das letzte Mal gesehen. Hast du gar keine Zeit mehr für mich? / Liebe Paula, ich möchte so gerne einmal wieder ins Museum gehen am Sonntag Vormittag. Bitte / deine liebe Mama, dass du gehen darfst. Allein ist es doch ein bisschen langweilig. / Aber ich möchte schon sehr gerne gehen, in das Kunsthistorische nämlich. Du bist doch einverstanden? / Da du so lange keine Zeit hast, zu mir einen Sprung auf 5 Minuten zu machen, / kann ich gar nicht glauben. Also wenn du kannst, so komm so bald wie möglich. / Ich habe dir so viel zu erzählen und du wohl auch? Aber du hast ja Ersatz, / nicht wahr? Viele Grüße noch dir, Schlimmen, von deiner Mizzi Hötzel.




Ob Paula sich dazu bewegen ließ, mit Mizzi am 19. November 1916 ins Kunsthistorische Museum zu gehen, ist der Geschichtsschreibung entgangen. Der Tod eines 86-jährigen adeligen Wieners zwei Tage nach dem geplanten Museumsbesuch erschüttert die gesamte k.u.k. Monarchie. Dessen Konterfei auf der 10-Heller-Marke wird schon wenige Wochen später durch das neutrale Motiv der österreichische Kaiserkrone ersetzt werden.





Exponat-12

Eiszeit.

So kalt wie auf diesem winterlichen Bild geht es bei den derzeitigen Koalitionsgesprächen im österreichischen Parlament hoffentlich nicht zu, und es ist zu wünschen, dass die Stimmung zwischen den potentiellen Koalitionspartnern, nicht so kühl ist, wie sie vor beinahe 115 Jahren offensichtlich zwischen Adressant und Adressatin dieser Ansichtskarte herrschte.


Kreisförmig, gegen den Uhrzeigersinn, verschafft der Schreiber dieser Ansichtskarte seinem Ärger Luft:




Hier beginnt's: Damit du nicht mehr sagen kannst, dass ich schuldig werde, so / schicke ich dir jetzt täglich eine Karte. Du hast mir aber / nur 5 Karten geschickt, nicht 10, wie du es zu dem Frl. Kleinert gesagt hast. Also die 5 / Karten kommen retour. Da du dir so lange eine schöne Karte / gewünscht hast, so sende ich dir eine. Aber das eine bitte ich aus: Ich will keine Karte mehr von dir. Emil.“


Auf der Seite des Adressfeldes fügt der offensichtlich beleidigte Adressant an das „bitterböse Fräulein“ noch hinzu:




Nächstes Mal mehr Vorwürfe noch wegen den[,] dass du zu Frl. Kl[einert] gesagt hast, dass ich / kein Geld zu Karten habe.“


Exponat-13


In den Jahren 1901 und 1902 schreibt ein gewisser Lorenz seinem Liebchen Josefine Fritsch aus Wien eine größere Anzahl an Postkarten in Gabelsberger Stenographie. Er befindet sich auf einer mehrmonatigen Geschäftsreise, die ihn von London nach den USA führt. Noch in London schickt er am 20. Februar 1902 „Postcard No. 1387“ aus der beliebten „Raphael Tuck & Sons“-Serie an seine Josefine. Auch wenn das Bildmotiv einen Reiter zeigt, der ins Wasser fällt, wird der trockene britische Humor mit dem daneben stehenden lakonischen Kommentar bestätigt. Und je besser das Fräulein Josefine die englische Sprache beherrschte, desto erröteter mag sie auf diese Karte reagiert haben. – Die Grußworte Lorenz' wirken dagegen beinahe banal: „Viele herzliche Grüße und Küsse von deinem Lorenz.





Exponat-14

Die „Strandbar Herrmann“ am Wiener Donaukanal bildet den letzten Anker der Erinnerung an jenen Mann, der die österreichische Korrespondenz um die Mitteilungsform der Postkarte bereichert hat. Im Jänner 1869 schrieb der österreichische Nationalökonom Emanuel Herrmann (1839-1902) einen Artikel in der „Neuen Freien Presse“, in dem er sich für eine neue Korrespondenzform für „einfache Benachrichtungen“ einsetzte.


Die nicht ganz neue Idee wurde auf sein Betreiben hin bereits wenige Monate später zum ersten Mal umgesetzt. Am 22. September 1869 erschien folgende Verordnung des Handelsministeriums:


„Im Einvernehmen mit dem königl. ungarischen Handelsministeriums werden vom 1. October d. J. an von der Postverwaltung Correspondenzkarten ausgegeben, mittelst welcher kurze schriftliche Mitteilungen nach allen Orten der österreichisch-ungarischen Monarchie ohne Unterschied der Entfernung gegen eine gleichmäßige Gebühr von 2 Neukreuzer befördert werden können.“




Dieses neue und beliebte „Shortmessageservice“ brachte recht rasch aber auch die Nachteile zum Vorschein, wie in der Tageszeitung „Das Vaterland“ vom Dienstag, den 19. Oktober 1869 zu lesen war:


„Täglich werden die Klagen lauter über den Mißbrauch, welcher mit denselben getrieben wird. Daß säumige Schuldner von rücksichtslosen Gläubigern auf dem neuesten Correspondenzwege coram populo an ihre Verpflichtungen erinnert werden, ist noch das Glimpflichste. Es ist aber bereits dahin gekommen, daß Familiengeheimnisse delicatester Art von zurückgewiesenen Freiern, beleidigten Hausfreunden etc. an die große Glocke der Correspondenzkarten gehängt worden sind.“


Recht harmlos dagegen präsentiert sich der in Gabelsberger Stenographie verfasste Inhalt jener Korrespondenzkarte, die im Dezember 1870 verschickt wurde:




Lieber Bruder! / Du wirst wohl schon wahrhaft verzichtet haben auf eine Antwort von meiner Seite, da ich es so lange / anstehen ließ, dir zu schreiben; doch es ist heuer schon nicht anders, ich habe so / viel zu tun im Vergleich zu vorigem Jahr, dass es mir knapp von der Hand / geht. – Studierst du auch recht fleißig und wann wirst du denn Prüfung machen. / Du würdest mich unendlich verbinden, wenn du mir von der Buchhandlung eine / Übersetzung schicktest, einmal Cicero pro Milone vom XXI Buch / angefangen bis [...] – Wenn du es mir schicken lässt, so bitte ich dich, es wohl sehr / bald zu tun, da ich es jetzt schon notwendig brauche. – Ich freue mich / auch schon sehr auf Weihnachten und ich werde dir auch mitteilen, wann ich kommen werde. / Grüße mir die Kusinen und Fritz und schreibe bald deinem dich liebenden Bruder. / Handkuss an Tante Fanni und Resi.“


Exponat-15

Eines vorweg: Bei dem Adressaten des diesmonatigen Exponats handelt es sich nicht um den berühmten Sir Carl Popper. Der Philosoph Popper wurde erst im Folgejahr geboren, nachdem diese Ansichtskarte von der Schweiz nach Österreich geschickt worden war. Jener „stud. jur.“ Carl Popper aus der Wiener Schottenfeldgasse, der auf dieser Ansichtskarte als Empfänger angegeben ist, stand seit dem Jahr 1901 in reger Korrespondenz mit dem Zürcher Stenographen Otto Leybold. Bis in den Sommer 1902 hinein schickten sich die beiden Herren gegenseitig zahlreiche Kartenmotive aus der Schweiz bzw. aus Österreich zu, unterhielten sich über die Tagespolitik und erörterten die aktuellsten Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Gabelsberger Stenographie.





Die Karte von Otto Leybold an Carl Popper - datiert mit 30. November 1911 - ist ein schönes Beispiel dafür, wie ökonomisch die professioelle Stenographie in der Praxis Anwendung fand.


Um einen annähernden Eindruck davon zu vermitteln, was der Stenograph in der Kurzschrift tatsächlich zu lesen bekommt und wie viel Erfahrung, Geschick und Einfühlungsvermögen dazugehören, um diese Kurzschrift in eine jedermann verständliche Langschrift zu übersetzen, soll folgender Text zeigen, wie er sich unterhalb des Motivs auf der Karte wieder findet:


"! f ir fr l u itere : i in mein best d u send in w ge wid e ansi von nr hübsch ge birg szeneri wel-i im / sep dis-ja mt eig au ge h. s w wol-sch uf bild dis reits gg ge seh h den sp d wel u wetter horn w ja vilf ge malt. / man kom an-dis beid mecht fels kegel zurü. wen man von meiringen uf gr scheidegg marschir, di tur i ao lang u ser leicht o für / zu mach. – von n tumult i win h-i ge les, i d in gl-wol f ir fr l miteilungen darü. – wi i erfar w-i wareinl sch im jan / nach stuttgart s doch üft di eig lsesso erst im merts begin, i w s ürl vn-meiner a reis noch ge nauer nter. – gestern tt w hir / e wunderll alp au-si wi s ser selt i ü-d g horizont bis fast z d berg hin a ein bleigrau wolk vorhang u nr di / berg selber u vm reinst son l umspil wo-duch farb efekte erzilt-u di man wi ge: ner ser selt sih. i h von-meiner wonung nn wunderll au-k / ü-di g alp u te d ur au l ser g beo. – di e vm dresdner stentag l i in als k e z-geh. – vorgestern a di berdung sh pet kramer, nes ser verdi man u lerr der uet. – mt frl k ge oschafts  bi-i ir erner oleybold." (Auflösung unten.)




Die Auflösung:

"Sehr geehrter Herr! Für Ihre freundliche und interessante Karte sage ich Ihnen meinen besten Dank und sende Ihnen wunschgemäß wieder eine Ansicht von einer hübschen Gebirgsszenerie, welche ich im / September dieses Jahres mit eigenen Augen gesehen habe. Sie werden wohl schon auf Bildern diese reizende Gegend gesehen haben, denn speziell das Well- und Wetterhorn waren ja vielfach gemalt. – Man kommt an diesen beiden mächtigen Felskegeln zurück. Wenn man von Meiringen auf die Große Scheidegg marschiert, die Tour ist außerordentlich lang und sehr leicht ohne Führer / zu machen. – Von den Tumulten in Wien habe ich gelesen, ich darf Ihnen aber gleich wohl für Ihre freundlichen Mitteilungen darüber. – Wie ich erfahre, werde ich wahrscheinlich schon im Januar / nach Stuttgart müssen, doch dürfte die eigentliche Saison erst im März beginnen, ich werde Sie natürlich von meiner Abreise noch genauer unterrichten. – Gestern hatten wir hier / eine wundervolle Alpenaussicht, wie sie sehr selten in über dem ganzen Horizont bis fast zu den Bergen hin war, ein bleigrauer Wolkenvorhang und nur die Berge selber wurden vom reinsten Sonnenstrahl umspielt, wodurch Farbeffekte erzielt wurden, die man, wie gesagt, nur sehr selten sieht. Ich habe von meiner Wohnung einen wundervollen Ausblick / über die ganzen Alpen und konnte das Naturschausspiel sehr gut beobachten. – Die Karte vom Dresdner Stenographentag lasse ich Ihnen als Kunstkarte zugehen. – Vorgestern war die Beerdigung des Herrn Peter Kramer, eines sehr verdienten Mannes und Lehrers der hiesigen Universität. Mit freundlichen kunstgenössischen bin ich Ihr ergebener Otto Leybold."


Exponat-16

Das Exponat des Monats Juli 2013 schließt direkt an das Exponat des Monats März 2013 an. Dort vermutete der Autor dieser Zeilen, die versteckte Kurznachricht unterhalb der Marke diene dazu, intimere Formulierungen an den Altvorderen vorbeizuschmuggeln. Vor einigen Wochen bestätigte sich diese Theorie auf sehr charmante Art, als auf einer Sammlerbörse eine frühere Karte - verfasst von derselben jungen Dame - auftauchte, deren Inhalt die Antwort auf diese Frage lieferte.


Auffallend an dieser Karte ist natürlich auch die Anrede der verliebten Teenager. Das vertraute „Du“ liegt noch in der Ferne, was die beiden aber nicht davon abhält, neben der Formulierung „Grüße“ (ein durchkreuztes „g“) sich auch „Küsse“ (ein durchkreuztes „k“) zuzusenden.


Letztendlich widerspiegelt diese Karte eine gewisse Ahnung davon, wie verbreitet die Gabelsberger Stenographie Anfang des 20. Jahrhunderts gewesen sein dürfte; vor allem wer sie beherrschte und wer anhand von gewissen Schlüsselwörtern wie „grüßen“ und „küssen“ auf den Inhalt der Ansichtskarte schließen könne.





"Aufrichtig gesagt, habe ich das böse Ja gar nicht so böse gemeint! Was das Stenographische / anbelangt, so kann ich Ihnen sagen, dass sowohl Fritz als auch Ida so / viel verstehen, dass sie das Wort „Küssen“ von „Grüßen“ sehr gut unterscheiden können. / Papa kann sehr gut Stenographie und es kommt zuweilen vor, dass er eine Karte / in die Hände bekommt, die er dann näher besichtigt. Nur gut, dass er diese / nicht gesehen hat! (Das soll Sie aber nicht beirren! …..) Das kurze Vergnügen / Eislaufen musste ich mit einer sehr argen Erkältung bezahlen. Zwei Tage war ich krank.

Heute habe ich noch sehr viel zu lernen, morgen nachmittag (2-3 Uhr) haben wir sehr strenge Geographie-Prüfung, wo ich sicher an die Reihe / komme!"


Wie liebevoll und aufmerksam das Motiv ausgewählt wurde, ist an den zwei eislaufenden Damen zu erkennen, die sich zu diesem Zeitpunkt noch bester Gesundheit erfreuten. Eine von den beiden hält ein Brieflein in der Hand. Der Muff der anderen starrt wie ein überdimensionaler Augapfel den Betrachter an. -  Die irrtümlich geschriebene Jahreszahl „1905“ wurde im Nachhinein auf „1906“ korrigiert. Das Jahr war noch jung.




 

"1. Jänner 1906

Grüße von Fritz und Ida.

Herzlich grüßt Sie Mizzi Kroner."


Auch in diesem Fall soll dem Betrachter der intime Blick unter die Marke nicht vorenthalten werden:



"In kürzester Zeit / erhalten Sie das Versprochene! / Ich halte mein Wort!!!"


Um welches Versprechen es sich genau handelt, wird wohl für immer deren süßes Geheimnis bleiben.



Exponat-17


Das Exponat des Monats Juni 2013 erinnert an den Hallenser Karl Faulmann (1835-1894), der es Ende des 19. Jahrhunderts in Wien zu bedeutendem Ruhm auf dem Gebiet der Stenographie gebracht hat. Als Schriftsetzer in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien stößt er auf die Gabelsberger Stenographie, deren Erforschung und Verbreitung er sich ein halbes Leben lang widmen wird. Als er sich daran macht, ein eigenes – für seine Begriffe einfacheres – System, die sogenannte Phonographie, zu entwickeln, ist sein Name im deutschsprachigen Raum derartig populär, dass er es nicht wagt, sein System anfangs unter eigenem Namen zu veröffentlichen.


So richtig durchsetzen konnte sich die Faulmann'sche Phonographie gegenüber der Gabelsberger Stenographie aber nie wirklich. Das einzige in der Faulmann'schen Phonographie geschriebene Exemplar einer Ansichtskarte, das der Autor dieser Zeilen nach Durchsicht von Aberhunderttausenden Ansichtskarten bisher entdecken konnte, befindet sich im „Wienmuseum“ am Karlsplatz. Das Motiv zeigt die Elisabethbrücke (die heutige Einmündung der Kärntnerstraße in die Wiedner Hauptstraße) mit der Karlskirche.


Karl Faulmanns rege Tätigkeit als Stenographie-Experte ist in Vergessenheit geraten. Sein geniales Standardwerk „Schriftzeichen und Alphabete aller Zeiten und Völker“ wird bis heute neu aufgelegt. An ihn erinnert eine Straße in seiner Heimatstadt Halle an der Saale. Und vor genau hundert Jahren wurde die "Faulmanngasse" in Wien-Wieden nach ihm benannt.




Exponat-18


 

Zugegeben: Der magere und unspektakuläre Text in Gabelsberger Stenographie, der sich auf dieser Karte aus dem Jahr 1918 befindet, war für die Auswahl dieses Exponats zweitrangig. Die Aufmerksamkeit richtet sich zweifelsohne auf das Bildmotiv, das aus einer Zeit stammt, als das Rauchen noch geholfen hatte.




Der Vollständigkeit halber folgt noch die Transkription des Textes:


Liebes Gerdchen! / Besten Dank für deine liebe Karte! / Noch immer krank, darum habe ich dir nicht schreiben können. / Ich habe von dir erst 3 Karten und gar keinen Brief bekommen, sonst hätte ich dir doch geantwortet. / Später mehr. / Recht herzliche Grüße und viele Bussi. / Nelly

Exponat-19

Welchen Vorteil die Gabelsberger Stenographie – außer einer rascheren Schreibweise – noch mit sich brachte, wird auf dieser beinahe hundert Jahre alten Ansichtskarte ersichtlich: Dem Verfasser der Karte stand der dreifache Raum für seine Liebesschwüre an seine geliebte Lina zur Verfügung. Vermutlich dürfte sich der junge Mann noch in einer Lernphase befunden haben. Das Schriftbild wirkt etwas unsicher. Auch werden absolut übliche Kürzel, wie „ohne“, „wird/werden“ oder „möglich“ nicht verwendet; andererseits verwendet der Verfasser für das Wort „denn“ das in diesem Fall nicht erlaubte Kürzel für den Akkusativ-Artikel „den“.



"Uttendorf 5.11.1913

Besten Dank für deine Karte, freut mich, so oft ich von dir eine Karte oder Brief / bekomme, und wäre es nur eine leere Karte, mich würde es freuen, weil es, von „ihr“ ist! – / Wie fiel dir denn ein, dass du mir ein so paar kleine Prezen [sic!] sandtest, ich musste wirklich lachen! / Lina[,] morgen fahre ich den ganzen Tag, bei dir vorbei, vielleicht seh' ich mein Herzkatzl einmal?! / Habe heute noch immer die Gedanken bei, – Dieser „Blick“ von gestern; ich musste heute Abends zum / [...] hineingehen, und da konnte ich unmöglich heimgehen, ohne dich zu sehen, was mir auch / gelang! – Mein Liebchen[,] wie schön wird es werden, wenn wir einmal unsere Wünsche erfüllt sehen! / Denn ich weiß jetzt[,] dass ich glücklich werde, weil ich dich ja so viel viel gerne habe, abends bist du mein letzter, und / morgens mein erster Gedanke, „was wird sie jetzt tun, ob sie doch auf mich denkt“ und so weiter, das sind meine / Gedanken; von gestern freuen mich am besten die Worte von dir –: Dass dein Glück nur viel ist, wenn du mich glücklich weißt!! – Ja Lina, – uns zwei trennt, außer Gott, niemand! Dein treuer Wasti"


Seitlich stellte Wasti folgende Frage:

"Bin neugierig, ob du alles lesen kannst."

Im Adressfeld fügt Wasti - auf den Kopf gestellt - hinzu:

"Tausend Dank Lina, dass du mich so herzlich bedienst!"



Damit nicht genug. Auf dem schwarzen Untergrund der Vorderseite fügt er ein wenig versteckt mit Bleistift hinzu:


"Was glaubst du, was diese zwei denken?!

Denk dir, es sind wir zwei – dann weißt du es!??

Noch viele viele Bussi – dein [...]


Ich gehe jetzt ins Bett, gute Nacht! Möchte dich noch so gerne ein wenig necken!"


 

Übrigens:

Die Stellung der Briefmarke – leichte Neigung auf die linke Seite – hat laut österreichischer Briefmarkensprache die Bedeutung:


Komme bald.“




Exponat-20

Der Karlsplatz bleibt, wie schon im Vormonat, weiterhin Herzensangelegenheit; wenngleich das Hauptaugenmerk wieder auf der Gabelsberger Kurzschrift selbst liegt. Der Inhalt der Ansichtskarte aus dem Jahr 1908 wirkt auf den ersten Blick wie das übliche Liebesgeflüster, das auf vielen derartigen Objekten zu finden ist.


„Liebster Josef! Deine Karte habe ich gut erhalten! Ich bin entzückt, dass du / schon am Samstag früh eintriffst! Bitte, bitte komm aber in der Frühe / zu uns in die Wohnung! Ich habe erst um 9 Uhr Schule und da / wäre es halt doch gar zu schön, wenn du um ¼ oder ½ 9 Uhr / zu deiner M.... kommst, damit wir uns doch um alles in der Welt nicht / auf der Straße nach so langer Zeit begrüßen müssen! Bitte sei so gut!!“


Entlang der beiden Längsseiten der Ansichtskarte vermerkt die Verfasserin:

„Ich wünsche dir eine recht glückliche Reise!!!“ und

„Ich grüße und küsse dich innig! Deine M....“


Zum besonderen Objekt wird diese Ansichtskarte aus einem ganz anderen Grund: Unter der aufklappbaren Briefmarke verbirgt sich eine Geheimnachricht an den Adressaten. Neben der Briefmarkensprache, die durch den Neigungsgrad der Marke einen bestimmten Liebescode vermittelt, war eine handschriftliche Nachricht unterhalb der Marke ebenfalls eine Möglichkeit von Liebespaaren, sich – von den Altvorderen hoffentlich unentdeckt – „deftigere“ Liebesbotschaften zukommen zu lassen.




Bitte, bitte, komm am Samstag zu deinem Kindi, ich sehne mich schon so sehr nach dem ersten Bussi! Bitte komm!! Ich küsse dich innig und umarme dich! Deine M....“



Exponat-21

Ab und zu rückt – neben dem eigentlich wesentlichen Textteil in Gabelsberger Stenographie – auch das Bildmotiv in den Mittelpunkt des Interesses. Wie in diesem Fall, wo die Skulptur eines knienden nackten Mannes mit ungewöhnlicher Armstellung in Richtung Wiener Karlskirche blickt. Mithilfe von mehreren Expertinnen konnte die Skulptur als „Der Athlet“ (1926) des Wiener Bildhauers Oscar Thiede identifiziert werden. Links hat der unbekannte Fotograf den Haupteingang des Künstlerhauses, rechts den Otto-Wagner-Pavillon „abgeschnitten“. Die Aufnahme stammt vermutlich aus den frühen 1930-er Jahren, mehr als 30 Jahre vor der völligen Umgestaltung des Karlsplatzes anlässlich des U-Bahn-Baues. Die lebensgroßen Figur befindet sich heute im Maurer Rathauspark.




Heiß dürfte es im August 1933 nicht nur dem unbekleideten „Athleten“ gewesen sein, wie aus dem Inhalt dieser Karte hervorgeht.




"8. Aug. 1933

Lieber Tony!

[...] die besten Glückwünsche zu deinen Erfolgen beim Seefest. Ich danke / dir herzlich, dass du für den Ruhm der Familie so tätig bist. – Was hast du mir /aus Italien mitgebracht? Du Strawanzer! Wir armen / Arbeitsviecher sind vom Pech verfolgt. Seit du weg bist, konnte ich erst / vorgestern das erste Mal Baden gehen. Während der Woche ist es / heiß zum Umfallen, und am Sonntag regnet es regelmäßig. – Ich habe / Anny Holzer einen Posten verschafft, bei einer Portal-/Bau-Firma. Seit Montag ist sie im Dienst. S 250,- monatlich. / Von ihr und Karoline beste Grüße. Viele Bussi deine [...]."


Exponat-22


Das untere Bild zeigt das Kuriosum einer Neujahrskarte, die eigentlich gar keine ist. Dem Absender dürfte auf die Schnelle keine andere Karte zur Verfügung gestanden sein, um dem Adressaten – vermutlich seinem Vater – eine rasche Kurznachricht zukommen zu lassen. Wie wienerisch diese Karte gehalten ist, zeigen Ausdrücke wie „aus dem Häusel sein“ (österr. für „aus dem Häuschen geraten") und „nicht ungeschaut“ (österr. für „nicht ungeprüft“).



"5./V. 1901
Prosit Neujahr!

Mama ist über das Häusel ganz aus dem Häusel, sie möchte / es sofort haben und will zahlen; doch nur, wenn du alle / Scherereien übernimmst, wofür sie uns jederzeit dessen / Benützung gestatten würde. Aber nicht ungeschaut! Vielleicht gehen / wir Sonntag alle / hinaus? Oder erst am 16.? Wäre / das nicht eine Idee? / Überlege dir's! / Servus [...]“




Exponat-23

Unten stehend der seltene Fall eines modernen Palimpsests. Auf dieser Ansichtskarte aus dem Jahr 1918 wurde der ursprüngliche Text aber nicht aus Sparsamkeitsgründen entfernt, sondern "Anna" - so der Name der Verfasserin - war der erste Schreibversuch einfach nur peinlich. Besonders der Buchstabe "r" wurde bei "Annas" erstem Schreibversuch regelrecht in das Papier "eingemeißelt", sodass dieser an manchen Stellen noch immer durchscheint. -  Die Löschung des ersten Textes ermöglichte "Anna" - abseits ihrer Liebesbeteuerung - immerhin eine Ansichtskarte mit konkretem Inhalt.


"Nicht bös sein, dass ich alles ausradiert hab. / Hatte so viele Fehler, dass ich mich schämen muss. Der Inhalt / des Geschriebenen war nichts Besonderes. /
Dass wir uns herzlich lieb haben, wissen wir beide! /

Viele Bussel auf dieser Karte, da es in Wirklichkeit so selten möglich ist.  / Deine Anna. /
Ist ein Stell-dich-ein mal möglich?"



Exponat-24

Handgezeichnete Korrespondenzkarte aus dem Jahr 1899.



Am rechten seitlichen Bildrand (hier: unten) befindet sich ein dreizeiliger Text in Gabelsberger Stenographie.


"Liebe Tina! Zu deinem Namenstag sende ich dir die besten Glückwünsche. Du hast
schon große Fortschritte in der / Stenographie gemacht. Lerne nur brav weiter. Diese
Karte habe ich an der Haltestelle Land gezeichnet wohin wir / einmal einen Spaziergang gemacht haben. Viele Grüße an Großmama und Onkel Hans. Dein Vater Stattin."