Wo finden sich Texte, die nach dem Gabelsberger System verfasst sind?

Das System nach Gabelsberger findet sich häufiger, als man annimmt. Wissenschaftliche Archive, Antiquariate, Bibliotheken, Museen, öffentliche und private Institutionen, Firmen, Privathaushalte beherbergen eine Vielzahl an unterschiedlichen Materialen, die Texte nach dem Gabelsberger System beinhalten könnten, ob Briefe, Briefentwürfe, Postkarten, Ansichtskarten, Archivalien, stenographische Protokolle, Fachliteratur, Verlassenschaften, Arbeitsnotizen, Randbemerkungen in Büchern, et cetera.


Kann ich auf den ersten Blick erkennen, ob es sich um die Gabelsberger Kurzschrift handelt?

Oft wird das Gabelsberger System nicht einmal als Kurzschrift wahrgenommen. Wegen der großen Ähnlichkeit mit der kursiven Kurrentschrift kommt es häufig hier schon immer wieder Verwechslungen.

Auch der Unterschied zwischen der Gabelsberger Stenographie und dem Nachfolge-System, der Deutschen Einheitskurzschrift, die ab 1924 gelehrt wurde, ist für viele Menschen nicht erkennbar.

Nicht zuletzt muss auch geklärt werden, ob es sich um andere Kurzschrift-Systeme, wie dem System nach Stolze-Schrey, einem Konkurrenzsystem zur Gabelsberger Stenographie, oder um modernere Versionen, wie etwa der Stiefographie, handelt. 


Wie korrekt ist ein Text im Gabelsberger System wiedergegeben?

Bis auf eine gewisse Anzahl von bestimmten Kürzel, "Sigel" genannt, die in der Regel von sämtlichen Anhängern des Gabelsberger Systems angewendet wurden, ist die Wiedergabe eines Textes in der Gabelsberger Stenographie von sehr unterschiedlicher Natur, was die Vollständigkeit von Wörter, Satzteilen und Sätzen betrifft. Während in der "Verkehrsschrift" - beinahe - sämtliche Wörter ausgeschrieben werden, besteht die "Redeschrift" aus Kürzungen und Weglassungen von Artikeln, Suffixen und Wortteilen, die häufig sehr assoziativ angewandt werden. Oft lässt eine Vor- oder Nachsilbe den restlichen Wortteil nur erahnen. Teilweise wird auf phonetischer Ebene lediglich ein Vokal für ein ganzes Wort gesetzt. Bei bekannten Phrasen oder Sprichwörtern, wird nur der wesentliche Teil stenographisch wiedergegeben. Der Rest muss vom Leser assoziativ ergänzt werden.


Wie leserlich ist der stenographische Text?

Wie in den Langschrift-Sytemen sind Texte in der Gabelsberger Kurzschrift unterschiedlich leserlich geschrieben. Hier kommt es oft darauf an, wie geübt jene Person war, die Texte nach dem Gabelsberger System verfasst hat bzw. für welche Zwecke das Gabelsberger System angewendet wurde.

Der Text auf Ansichtskarten ist zumeist relativ einfach zu entziffern, da sich zum Teil dieselben Phrasen, wie "herzliche Grüße", "danke für die Karte", "Grüße und Küsse", et cetera wiederholen und das Interesse des Absenders naturgemäß groß war, dass der Adressat in der Lage ist, das Geschriebene ohne Schwierigkeiten lesen zu können.

Schwieriger wird es bei Texten, die nur als Gedächtnisstütze oder als Entwurf des Schreibers dienten, wie Archivalien, Briefentwürfe, Tagebücher, Predigten, Arbeitsnotizen, et cetera.

Eine besondere Herausforderung für einen Fremdleser sind Texte, die ursprünglich als Protokoll verfasst worden sind. Stenographen mussten in der Lage sein, die Reden wortwörtlich mitschreiben zu können und entwickelten dafür oft ihre eigenen Kürzel.


Welchen Inhalts sind die nach Gabelsberger System verfassten Texte?

Viele Texte sind sehr kontextabhängig. Je nachdem, ob sich ein Arzt, Archivar, Botaniker, Chemiker, Historiker, Jurist, Literat, Literaturwissenschafter, Musiker, Philosoph, Politiker, Priester, Soldat, et cetera mit einer bestimmten Materie auseinandergesetzt hat, ist die Information zum dementsprechenden Fachwissen ausschlaggebend. Noch dazu spielt der historische Hintergrund eine wesentliche Rolle, da sich der Zeitraum, als das Gabelsberger System von Hunderttausenden Menschen geschrieben und gelesen wurde, von zirka 1830 bis 1950 bewegt.


Habe ich das System nach Gabelsberger noch in der Schule gelernt?

Ein häufig gestellte Frage. Aber jemand, der das System nach Gabelsberger noch in der Schule gelernt hat, müsste heute mindestens 120 Jahre alt sein. Das System, das in den letzten Jahrzehnten gelehrt wurde, ist die sogenannte Deutsche Einheitskurzschrift (DEK), die 1924 eingeführt und 1968 reformiert wurde ("Wiener Urkunde").


Ist die Kurzschrift, die ich auf einer historischen Ansichtskarte finde, automatisch Gabelsberger?

Im österreichischen und süddeutschen Raum vermutlich ja. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass es sich um das System "Stolze-Schrey" handelt. Das muss im Zweifelsfall abgeklärt werden. Auch ist es möglich, dass es sich um eines der unzähligen Kurzschrift-Systeme oder deren Weiterentwicklungen handelt, die damals kursierten.


Kann ich das System Gabelsberger im Selbststudium erlernen?

Natürlich ist das System Gabelsberger auch im Selbststudium erlernbar. Aber es reicht nicht aus, die 26 Zeichen zu kennen, die den Buchstaben des deutschen Alphabets entprechen, weil es im System Gabelsberger eine Unzahl an Kombinationen, Verschmelzungen, Kürzel (= Sigel), Abkürzungen und Weglassungen gibt. Am ehesten ist das Erlernen des Gabelsberger System vergleichbar mit einer Fremdsprache, wobei man hier ebenfalls nicht erwarten darf, nach dem Erlernen des Grundwortschatzes die Sprache perfekt zu beherrschen.


Was wird mir in einem Gabelsberger-Kurs geboten?

In einem Gabelsberger-Kurs werden die Grundkenntnisse der Gabelsberger Stenographie geübt. Da sogar die aktive Anwendung der jüngeren Deutschen Einheitskurzschrift (ab 1924 gelehrt) durch die moderne Technik wie Diktiergeräte, Laptops, etc.  immer mehr zurückgedrängt wird, hält sich der Sinn eines aktiven Erlernens der Gabelsberger Stenographie in Grenzen. Die Kurse beschränken sich daher auf das reine passive Erlernen, auf das Erkennen und Lesen von Buchstaben, Wörtern, Texten und Textzusammenhängen in Gabelsberger Stenographie. Wie erfolgreich die Kenntnisse sein werden, hängt vom jeweiligen Interesse und der Geduld der lernenden Person ab. Die Bereitschaft zum (selb)ständigen und intensiven Üben bildet dabei die Grundvoraussetzung.